MiR: „Carmina Burana“ als Döner vertanzt in Gelsenkirchen – WAZ News


Gelsenkirchen. Endzeitstimmung in Carl Orffs Bühnenklassiker: Die Choreografie von Alessio Monforte lässt das Ensemble taumeln, rutschen, sich türmen.
Als Big Mac der Musikliteratur wurden die „Carmina Burana“ von Carl Orff schon bezeichnet: Jenes Riesenwerk für Chor, Gesangssolisten und Orchester, das auf mittelalterliche Gesänge aus dem Kloster Benediktbeuern zurückgeht. Ein Tanzabend in Gelsenkirchen serviert Orffs Kracher jetzt als Döner. „O Fortuna mit alles und scharf“ heißt die Umsetzung, die Giuseppe Spota (Regie) und Alessio Monforte (Choreografie) für das Musiktheater im Revier geschaffen haben.
Die Feier des Lebens, bei Orff von der stimmgewaltigen Anrufung der Glücksgöttin umrahmt, erhält in Gelsenkirchen einen düsteren Anstrich. Die MiR Dance Company, die sich auf der dunklen Bühne um ein schwarzes Fass herum versammelt, wirkt wie eine Bande junger Menschen, die eher Spielball höherer Gewalten sind als Hoffnungsträger für die Zukunft. Spota hat zweistöckige Gerüste mit Treppen und Schrägen geschaffen, auf denen die Tänzerinnen und Tänzer agieren wie die Rastlosen in Hyperions Schicksalslied: Geworfene, die ins Ungewisse fallen.
Alessio Monforte lässt die Körper die dazu passende Sprache sprechen. Es hat etwas Endzeitliches, wie die Mitglieder der MiR Dance Company hier taumeln, sich aneinanderklammern, von den Schrägen herab rutschen und sich auf Treppenstufen zu einer Kaskade aus Leibern formieren. Die Company setzt das voller Leidenschaft um. Immer wieder flammen Scheinwerfer auf und blenden das Publikum.
Dirigent Rasmus Baumann muss im Bühnenhintergrund die Massen zusammenhalten: die Neue Philharmonie Westfalen, Chor und Extra- und Kinderchor des Theaters sowie die Gesangssolisten. Das gelingt gut, es gibt nur ein bis zwei kleine Wackler. Die von Alexander Eberle einstudierten Chöre sind stimmstark und rhythmisch, mit minimaler Tendenz zum Eilen, die von Dirigent und Orchester jedoch abgefangen wird. Ohne die sonst übliche theatralische Larmoyanz schraubt Martin Homrich seinen Tenor als sterbender Schwan ins Falsett. Bariton Simon Stricker bringt die Sauflieder mit deftiger Lust und Kraft. In die gefürchteten Höhen des „Dulcissime“ gelangt Margot Genet vielleicht nicht mit schmeichelnder Süße, aber souverän und ohne Tadel.
Als Vorspiel zu diesem Spektakel gibt es im oberen Foyer die Choreografie „Somos“ („Wir sind“) von Carla Cervantes Caro und Sandra Egido Ibáñez. Zu melancholischer Klaviermusik winden zwei gleichgeschlechtliche Paare die Körper umeinander, im fließenden Dauerkontakt von Armen, Beinen, Händen, Füßen. Eine tief berührende Studie über Nähe, Freiheit und Intimität.
(Karten und Termine: www.musiktheater-im-revier.de)
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