Redakteur Lokal
Gelsenkirchen. An einem kalten Januartag vor gut 500 Jahren wurde in Gelsenkirchen-Buer ein Ritter erschlagen. An ihn erinnern die Reste eines Mordkreuzes.
An der Adenauerallee in Gelsenkirchen-Buer, ungefähr auf Höhe der Einmündung Scherner Weg, steht eine unauffällige kleine Steinsäule, gerade einmal etwas über einen Meter hoch. Auf den ersten Blick würde sie kaum auffallen, wahrscheinlich nicht einmal auf den zweiten. Ebenso wenig die kaum noch lesbare Gedenktafel auf dem Boden davor. Wäre da nicht ein Grablicht, das die Aufmerksamkeit der Spaziergänger auf sich zieht – und an einen Mord erinnert, der vor mehr als 500 Jahren geschehen ist.
Dieser Mord hatte damals ganz Buer schockiert. Ausgerechnet auf dem Weg zur Kirche hatte der Täter seinem Opfer aufgelauert, an einem kalten Januartag, als Schnee lag. Am Ende waren ein Mann tot und dessen hochschwangere Ehefrau durch einen Stich in den Arm verletzt. Das Motiv: ein Erbschaftsstreit.
An die Tat erinnerte viele Jahre lang ein sogenanntes Mordkreuz, das „Backems Krüz“, von dem heute lediglich die kleine Steinsäule übrig geblieben ist. Der Buersche Historiker Arno Vauseweh hat sich mit dem spätmittelalterlichen Mord auseinandergesetzt und die Geschichte dazu aufgeschrieben, den Text findet man in Band 23 der „Beiträge zur Stadtgeschichte“ des Buerschen Heimatvereins aus dem Jahr 2003.
Es war am 17. Januar des Jahres 1479 oder 1480 – ganz einig sind sich die Quellen da nicht. Der Ritter Dietrich von Backem zu Leythe war mit seiner Ehefrau Mettel (geborene von Eickel) im Schlitten unterwegs zur Urbanus-Kirche nach Buer, es war der Gedenktag des Heiligen Antonius. Pastor an St. Urbanus war der ältere Bruder von Dietrich, Unverzagt von Backem. Dietrich war Herr des Hauses Leythe, eines Rittersitzes, gelegen im heutigen Erle.
Und dieser Dietrich, der Haus Leythe von seinem Vater geerbt hatte, lag im Streit mit seinem anderen Bruder Jörgen: Der hatte Haus Balken geerbt, allerdings schuldete Dietrich seinem Bruder einen Erbteil in Höhe von 200 Goldgulden, da der Wert des Hauses Leythe höher eingestuft wurde. Dieses Geld hatte Dietrich allerdings noch nicht ausgezahlt.
Heute würde Jörgen vermutlich einen Rechtsanwalt bemühen, um an sein Geld zu kommen. Damals war es – vor allem unter Adeligen – üblich, sein Recht in die eigenen Hände zu nehmen. Jörgen bat einen befreundeten Ritter um Hilfe, Adrian Sobbe zum Grimberg. Dieser war es, der an jenem 17. Januar Dietrich von Backem auf dem Weg zur Messe auflauerte und ihn im folgenden Handgemenge erschlug.
Die Tat geschah allerdings nicht dort, wo sich heute die Reste des Mordkreuzes und die Erinnerungstafel befinden, sondern einige hundert Meter weiter, etwa auf Höhe der Kreuzung Cranger Straße/Turmstraße. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Reste des „Backems Krüz“ versetzt: zunächst ein Stück die Cranger Straße hinunter, im Jahr 1970 dann an seinen heutigen Standort an der Adenauerallee.
Unmittelbar nach dem Mord an Dietrich von Backem besetzte sein Bruder Jörgen Haus Leythe und behielt es bis 1482 als Faustpfand. Heute undenkbar: Für ihn erwies sich der Auftragsmord als Erfolg. Verantworten für die Tat musste er sich nie, Dietrichs Witwe Mettel zahlte schließlich sogar die 200 Goldgulden Erbteil, die Auslöser für den Bruderstreit waren, „und noch zusätzlich 40 Taler für entstandenen Kosten“, wie Arno Vauseweh schreibt.
Und auch der eigentliche Täter Adrian Sobbe zum Grimberg blieb unbehelligt: Er starb erst am 2. September 1520, gut 40 Jahre nach der Tat. Allerdings ließ er kurz nach der Tat das Mordkreuz errichten – das war Tradition im Mittelalter. „Der jähe, plötzliche Tod, der ohne Vorbereitungszeit auf das Jenseits eintrat, galt der mit dem Tod vertrauten mittelalterlichen Welt als hässlich und gemein“, schreibt Arno Vauseweh. „Nach mittelalterlicher Auffassung musste der Totschlag mit der Errichtung eines steinernen Kreuzes am Ort der Tat für den Erschlagenen gesühnt werden.“
Immerhin: Ein Rest schlechtes Gewissen dürfte auch bei Jörgen von Backem und dem verbliebenen Rest seiner Familie vorhanden gewesen sein. Jörgen starb 1501. Genau 16 Jahre später hinterließ Adelheid von Backem, Schwester von Dietrich und Jörgen, der Kirche St. Urbanus einen beträchtlichen Geldbetrag, verbunden mit der Auflage, regelmäßig Messen für das Seelenheil der beiden Brüder lesen zu lassen.
Das „Backems Krüz“ scheint bis in die 1920er Jahre unversehrt geblieben zu sein, dann wurde es vermutlich Opfer von Vandalismus. Jahrhundertelang diente es als Station der Leichenzüge der Adelshäuser Berge, Leythe und Balken: Wenn Angehörige dieser Häuser starben, dann führte die Trauerprozession auf dem Weg in die Kirche St. Urbanus stets am Kreuz vorbei.
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Wie so oft in solchen Fällen lieferte der Mord auch Stoff für Sagen: Im Internet findet man die Geschichte von der Erscheinung eines weißen Schlittens, „dessen Lenker es am ersten Vollmond eines Jahres zum Backemschen Kreuz zieht“, heißt es auf der Seite „suehnekreuz.de“. Der Schlitten werde von einem achtbeinigen Schimmel durch die Lüfte gezogen, der Lenker des Schlittens – offenbar der Mörder Adrian Sobbe zum Grimberg – schwinge ein glühendes Schwert. Am Ort des Kreuzes, so die Sage, warte eine Frau in schwarzen Kleidern auf ihn. „Sie reckt ihm böse ihren Arm entgegen, von dem unzählige Blutstropfen auf das Kreuz fallen.“ Bei ihr kann es sich nur um Dietrichs Witwe Mettel handeln.
Der Wahrheitsgehalt dieser Sage lässt sich natürlich nicht überprüfen, ebenfalls ist nicht bekannt, wer die Grabkerze an das Kreuz gestellt hat – der Heimatverein war es nicht, wie deren Vorsitzender Georg Lecher sagt. Der erste Vollmond der Jahres 2025 ist übrigens am 13. Januar.
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