Chef-Theologe: „Das gibt es nicht auf dem Weihnachtsmarkt“ – WAZ News


Redakteurin
Gelsenkirchen. Nur Weihnachten in die Kirche? Gelsenkirchens Superintendent Montanus und Propst Pottbäcker freuen sich über jeden. Das ist ihre Botschaft.
„Fürchtet euch nicht!“ Und: „Friede auf Erden!“ – Was die Engel einst den Hirten auf dem Feld nach Jesu Geburt verkündeten, es wirkt angesichts der aktuellen Weltlage naiv. So viele internationale Kriege und nationale Krisen gibt es, dass es eben doch zum Fürchten ist. Wie, bitteschön, soll da in den Köpfen der Menschen noch Platz sein für das Weihnachtswunder? Stadtdechant Markus Pottbäcker, Propst in St. Augustinus sowie St. Urbanus, und Heiner Montanus, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Gelsenkirchen und Wattenscheid, geben Einblicke in ihre Predigt-Werkstatt.
Wenn die Welt in diesen Tagen Jesu Geburt feiert, dann stehen die Zwei als Gelsenkirchener „Chef-Theologen“ ganz vorne in den Kirchen. Die frohe Botschaft, sie ist ihr „Kerngeschäft“, erst recht deren Verkündung. Trotzdem haben beide keine einfachen Antworten parat, wenn es darum geht, das menschliche Leid von heute und die göttliche Menschwerdung der biblischen Erzählung zusammenzubringen.
„Natürlich können wir auch in den Weihnachts-Gottesdiensten nicht über die Sorgen von Menschen hinweg predigen“, betont Montanus. Ob nun Arbeitslosigkeit, Trennung, Krankheit oder der Verlust eines Angehörigen: „Diesen Leuten kann ich doch nicht die rosarote Brille aufsetzen und eine heile Welt suggerieren! Ich darf das Dunkel nicht ausblenden. Aber ich will ihnen sagen: Du bist nicht allein, weil Gott mit dir durchs Dunkle geht.“
Hoffnung zu vermitteln, ist also Montanus (62) besonderes Anliegen zum Fest. „An die Verzweifelten richtet sich der Ruf der Engel besonders: ,Fürchtet euch nicht!‘“, ist er sicher. Auch das Weihnachtsgeschehen selbst sei ja keine Wohlfühl-Geschichte, sondern erst im Nachhinein etwa in Krippenspielen romantisiert worden.
„Die Krise ist in Jesu Geburt doch schon angelegt. Da wird eine sehr junge Frau schwanger, ich nehme mal an: ungeplant. Sie muss kurz vor der Geburt eine beschwerliche Reise antreten, wird überall abgewiesen, muss in einem Stall entbinden, wenig später vor König Herodes nach Ägypten flüchten… Schön ist anders!“
Die biblische Geschichte zeige aber: Am Ende setze sich das Licht durch. „Auch wenn wir Gott nicht spüren, gerade kein Gefühl für ihn haben: er ist trotzdem da. Deshalb ist meine Losung auch immer: Rechne damit, dass Gott dich trägt“, so der Superintendent.
Das Prinzip Hoffnung, es ist auch für Propst Pottbäcker (58) die zentrale Botschaft von Weihnachten. Gewalt, Kriege, Krisen im Großen wie im Kleinen könnten der Sehnsucht nach Hoffnung letztlich nichts anhaben. „Jedes Jahr werden sowohl in St. Augustinus als auch in St. Urbanus jeweils 70.000 Teelichter angezündet. Wenn das nicht ein ermutigendes Zeichen ist!“
Ähnlich wertet er die Tatsache, dass die Weihnachts-Gottesdienste auch von besonders vielen Menschen besucht werden, die sonst nicht (mehr) in die Kirche gehen. „Das ist ein absolut positives Zeichen, gerade in Zeiten, in denen so viele aus Unverständnis gegenüber der Amtskirche oder wegen der Fälle von sexuellem Missbrauch austreten. Ich freue mich deshalb über jeden, der da ist. Wahrscheinlich spüren die Leute doch, dass das Original von Hoffnung nicht auf dem Weihnachtsmarkt zu finden ist.“
Dass nicht wenige Menschen angesichts des Leids in der Welt an Gott zweifeln, ist Pottbäcker klar. „Aber wenn wir ehrlich sind, müssen wir uns eingestehen: Ohne die Menschen gäbe es dieses Leid auch nicht – Gott aber schon. Das allermeiste Leid ist – bis etwa auf Naturkatastrophen – durch den Menschen verursacht, der nicht in der Lage ist zu lernen.“
Die Besucherinnen und Besucher der Weihnachts-Gottesdienste von der frohen Botschaft zu überzeugen, gar eine religiöse Trend-Umkehr in deren Leben zu bewirken: „Diese Erwartung habe ich nicht, weil Glaube so individuell ist. Ich mache nur ein Angebot, und dann liegt es an den Menschen selbst, etwas daraus zu machen.“
Superintendent Montanus spürt diesen Druck „zu liefern“ schon eher. „Mir ist bewusst, dass ich zu Weihnachten, wenn so viele seltenere Kirchgänger dabei sind, auch viel falsch machen kann. Aber ich sage mir immer: Ich gebe mein Bestes, den Rest gibt Gott dazu.“
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Und so hat er am Ende noch einen Tipp in petto, der zumindest ihm in dunkleren Stunden hilft. „Ich habe unheimlich viel Spaß beim Singen. Das hebt meine Stimmung und macht Spaß – jedenfalls wenn es nicht diese zuckrig-süßen Weihnachtslieder sind, in denen vom holden Knaben in lockigem Haar die Rede ist.“ Diese blendeten völlig aus, dass der im Nahen Osten geborene Jesus „wohl ziemlich arabisch aussah, eben genauso wie die Menschen, die nun bei uns Zuflucht suchen und auch oft nicht willkommen sind.“
Sagt es und nennt ein Beispiel, wie die Weihnachts-Botschaft vor wenigen Tagen in Schalke interkulturell gelebt wurde: Eine Schule habe das Jugendreferat des Kirchenkreises gebeten, den erwarteten 20 Kindern dort zu erklären, „wie Weihnachten gefeiert wird“. Also rückten deren Mitarbeitende aus, im Gepäck die biblische Geschichte von Jesu Geburt, Plätzchen, Tannenzweige und Weihnachtslieder. „Am Ende waren es mehr als 100 Schülerinnen und Schüler, ganz viele mit Migrationshintergrund, sodass die Plätzchen nicht reichten und es ohne Mikrofon etwas schwierig war. Aber es war für alle ein unvergesslicher Nachmittag.“

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