Essen/Gelsenkirchen. Ein Baby aus Gelsenkirchen kommt mit einem Beinbruch ins Krankenhaus. Der Verdacht: Kindesmisshandlung. Jetzt gibt es eine überraschende Wende.
Vor rund zwei Jahren ist einer jungen Mutter aus Gelsenkirchen das Baby weggenommen worden. Der Vorwurf hatte es in sich: Die heute 23-Jährige sollte dem Neugeborenen mit brutaler Gewalt ein Bein gebrochen haben. Das Amtsgericht Gelsenkirchen hatte sie dafür später sogar zu elf Monaten Gefängnis verurteilt. Falsch – haben die Richter am Landgericht Essen jetzt in zweiter Instanz geurteilt und die Mutter freigesprochen.
Der kleine Jamie muss höllische Schmerzen gehabt haben. Als er im Oktober 2022 ins Krankenhaus kam, war der linke Oberschenkel in Nähe der Hüfte komplett durchgebrochen und hatte sich seitlich verschoben. Selbst die Ärzte waren geschockt. „So eine Verletzung sieht man in seinem Leben wahrscheinlich nur einmal“, sagte einer der behandelnden Mediziner am Donnerstag im Zeugenstand.
Der Verdacht fiel auf die Mutter. Ihr damals zweieinhalb Monate alter Sohn kam in eine Pflegefamilie, sie selbst wurde angeklagt und verurteilt. Dabei konnten die Richter am Amtsgericht Gelsenkirchen offenbar schon damals nicht feststellen, was sie eigentlich gemacht haben soll. In ihrem Urteil ist kein Tatablauf beschrieben.
Eine Rechtsmedizinerin, die die Verletzung damals untersucht hat, ist nach Angaben der Berufungsrichter im ersten Prozess nicht einmal gehört worden. Der behandelnde Krankenhausarzt auch nicht. Die Angeklagte selbst spricht von einem Unfall. „Ich hatte mein Baby im Arm, bin gestolpert und mit ihm gegen das Gitter des Kinderbettchens gestürzt“, sagte sie den Richtern am Essener Landgericht. Eine Schutzbehauptung?
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Nein, hieß es im neuen Urteil. Die einzig denkbare andere Variante hätte nach Angaben der Essener Richter so ausgesehen: Das Baby liegt auf einem harten Untergrund, sodass das Bein nicht nach hinten wegschwingen kann. Dann schlägt die Mutter mit einem kantigen Gegenstand mit voller Wucht zu.
„Für Gewalt gibt es jedoch überhaupt keine Anhaltspunkte“, sagte Richter Sebastian Jordan. Die Angeklagte sei nicht vorbestraft, werde vom Kindsvater und einer Sozialarbeiterin als liebevolle Mutter beschrieben. Ältere Verletzungen waren bei Jamie nicht gefunden worden. Im Urteil des Essener Landgerichts war von einem „Unfall“ die Rede, der „jedem von uns passieren könnte“.
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So sah es am Ende auch die Staatsanwaltschaft. Sie hatte im Berufungsprozess wegen der Schwere der Verletzung zwar ursprünglich eine noch höhere Strafe angestrebt, am Ende aber ebenfalls auf Freispruch plädiert. „Aus Überzeugung“, wie der Anklagevertreter es formulierte.
Die junge Mutter hofft nun, dass sie ihren Sohn schnell zurückbekommt. Zurzeit darf sie ihn einmal in der Woche besuchen.
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